Die chinesische Hochkultur reicht 4000 bis 5000 Jahre zurück und ist die einzige, welche immer noch lebt. Insbesondere in ihrer Historie ist sie höchst bemerkenswert. Während Europa sich langsam entwickelte, hatte sich auf chinesischem Boden bereits längst eine Hochkultur etabliert. Die einzigartige Entwicklung Chinas kann anhand zahlreicher Symbole beschrieben werden. Eines davon ist die Chinesische Mauer: Sie zählt zu den «Sieben neuen Weltwunder», und ihr Bau soll rund 2000 Jahre in Anspruch genommen haben. Sie soll zu grossen Teilen während der Ming-Dynastie (1386-1644) als eine Schutzeinrichtung zur Grenzsicherung errichtet worden sein. Seither gilt sie als Sinnbild der chinesischen Kultur.
Chinas Neigung zu immensen Bauvorhaben offenbart sich nun auch beim gigantischen Projekt der chinesischen «Neuen Seidenstrasse» (auch «Belt and Road Initiative» genannt). Der Plan zur Entstehung der neuen Handelsrouten (siehe Grafik) basiert auf den seit Beginn des 2. Jahrhunderts ehrgeizig definierten Ansprüchen Chinas. Seit der Machtübernahme durch Xi Jinping als autokratischer Staatspräsident der Volksrepublik Chinas im Jahr 2013 trat dessen Regierung deutlicher denn je aus dem Schatten Amerikas sowie Europas hervor und kommuniziert offen seine Grossmacht-Ansprüche. Während insbesondere in Europa eine wertegeleitete Politik betrieben wird, verfolgt China eine stark ausgeprägte interessengeleitete Aussenpolitik (Realpolitik) – oder in den Worten von Trump formuliert: «China First». Neben all den bestehenden Problemen (Immobilienblase, überalterte und seit Kurzem erstmals rückläufige Bevölkerung) und moralischen sowie menschenrechtlichen Vorbehalten sollte der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der bis jüngst bevölkerungsreichsten Volkswirtschaft der Welt (Indien hat vor kurzem China als bevölkerungsreichstes Land der Erde abgelöst) Respekt entgegengebracht werden. Der Aufstieg der heutigen Millionen- sowie Vorzeigestadt Shenzhen illustriert diese Wachstumsgeschichte eindrucksvoll.
Ein Bericht der Vereinten Nationen nennt Shenzhen im Zeitraum von 1980 bis 2010 als die am schnellsten wachsende Stadt in der Geschichte der Menschheit und ist (zusammen mit Indiens Grossstadt Mumbai) mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren zugleich die jüngste Stadt der Welt – als Vergleich beläuft sich der Schnitt Londons auf 35 Jahre, New Yorks auf 36 Jahre und Berlins auf 43 Jahre. Vor 40 Jahren zählte Shenzhen lediglich rund 60’000 Einwohner. Heute beläuft sich die Bevölkerung auf rund 18 Millionen. Des Weiteren gilt die Stadt als das «Silicon Valley» Chinas – 5G wurde in der Metropole entwickelt und der öffentliche Nahverkehr ist nahezu vollständig elektrifiziert. Der stark gewachsene Binnenmarkt lechzt nach Importen sowie auch Exporten und erfordert neue Handelsrouten. Hier soll die «Belt and Road Initiative» Abhilfe schaffen.
Der mittlerweile vollzogene Wandel von der Werkbank der Welt hin zum Hightech-Riesen unterstreicht die globale wirtschaftliche Stellung Chinas auf bemerkenswerte Weise. Die chinesische Regierung soll mehr als eine Billion US-Dollar in Häfen, Brücken, Bahnstrecken und Strassen in über 100 Ländern investieren – es handelt sich somit um ein weltweites Infrastrukturprojekt in kolossalem Ausmass mit dem einzigen Ziel, Chinas globale Vormachtstellung zu zementieren – ganz nach dem historischen Vorbild der einstigen «alten Seidenstrasse». Mehr als 70 Länder sind bereits Teil der «Neuen Seidenstrasse», welche durch ein gigantisches Netzwerk von Strassen, Häfen und Schienen die Kontinente Afrika, Asien und Europa handelstechnisch noch enger vernetzen soll. Die USA werden dabei allerdings aussen vorgelassen.
Die vielerorts zitierte Tendenz zur Deglobalisierung scheint also vorerst nicht Einzug zu erhalten. Im Gegenteil – China war 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die Schattenseiten: Nie zuvor war das Handelsbilanzdefizit Deutschlands so hoch, 2019 betrug es lediglich ein Sechstel des 2022er-Defizits. Dies lässt mannigfaltige Schlüsse zu. Doch eines ist klar; China ist sich seiner Stärken bewusst und spielt diese gezielt aus. Die chinesische Regierung erhöht beispielsweise den Druck auf ausländische Unternehmen, vor Ort zu produzieren. Dies beschleunigt wiederum den Transfer von Humankapital und Technologie. Zudem besteht anhand der ausgerufenen «Dual-Circulation»- und «Made in China 2025»-Strategie der industriepolitische Masterplan, China autarker werden zu lassen. Auch wenn damit insbesondere die chinesische Binnennachfrage gesteigert werden soll, will China gleichzeitig auch zu einem hochentwickelten Land mit einer weltweiten Technologieführerschaft aufsteigen. Dieses Vorhaben erfordert neue und effizientere Handelsrouten.
Laut Chinas Staatschef Xi Jinping erreichen chinesische Güterzüge heute über 200 Städte in 24 europäischen Ländern. Neben diesen Eisenbahnstrecken stellen Häfen in Afrika und Europa einen zentralen Faktor in Chinas Expansionsstrategie dar. Der Hafen von Piräus ist seit 2016 im Besitz des Mehrheitseigners Cosco (China Ocean Shipping Company). Die chinesische Staatsreederei gehört zu den grössten Containerschiff-Reedereien der Welt und gilt als weltgrösster Hafenterminalbetreiber. Für China stellt der Hafen von Piräus einen elementaren Knotenpunkt für die effektive Land- und Seeverbindung zwischen Asien und Europa sowie die anschliessende Feinverteilung in Europas Städte dar.
Doch die Expansionsstrategie hat für Chinas Partnerstaaten auch gewichtige Nachteile – sie begeben sich in eine massive Abhängigkeit. Nicht selten fallen auch schwere Vorwürfe. Die von China an Drittstaaten ausgesprochenen Kredite seien einseitig ausgelegt, China betreibe einen modernen Kolonialismus und würde für Infrastrukturprojekte eigene Staatsbetriebe mit eigenem Personal einsetzen (beispielsweise in Serbien oder Montenegro), so lautet der Tenor. Es ist mehr als fraglich, ob der durch eine lockere Kreditvergabe erfolgte Kapitalfluss zu Gunsten der begünstigten Drittstaaten je zurückbezahlt werden kann. Als Folge von Zahlungsausfällen dürfte ein erhöhter chinesischer Einfluss auf erwähnte Staaten ausgeübt werden.
Eines ist klar, China verfolgt seine Pläne mit eiserner Faust und weiss seine Stärken einzusetzen. Doch vielerorts – insbesondere in Europa – wird China der Weg zur «stillen Invasion» durch ein Wegschauen und nicht einheitlicher Strategie seitens der Europäischen Union geebnet. Es wird einiges an Geschick und Agilität verlangen, um den weiteren Ausbau des politischen Einflusses Chinas durch wirtschaftliche Abhängigkeiten entgegenzutreten. Zumindest in Deutschland scheint sich nun der Widerstand gegen einen möglichen Einstieg von Cosco bei einem Hamburger Container-Terminal zu verfestigen. Scheinbar soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) das betreffende Terminal Tollerort kürzlich als kritische Infrastruktur eingestuft haben, womit es als besonders schützenswert gilt. Im vergangenen Oktober einigte sich das deutsche Kabinett, dass Cosco statt wie ursprünglich geplant 35 Prozent lediglich 24.9 Prozent des Terminals erwerben könne. Doch dieser Deal könnte nun aufgrund der neuen Einstufung seitens dem BSI fallen gelassen werden.
Die Schilderungen zeigen eindrücklich, wie China konsequent eine ehrgeizige Wachstumsstrategie verfolgt und nicht in Jahren, sondern mehreren Dekaden denkt (siehe Initiative China 2049 – 100. Gründungsjubiläum der Volksrepublik China). China spaltet die Gemüter, bewegt uns zwischen Faszination und Bedenken vor dem unbekannten Riesen – doch eines ist sicher: Asiens Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft und bietet neben den bekannten Risiken auch eine Vielfalt an Anlagechancen. Als langfristig denkende Investoren geniessen Investments in Asien – insbesondere mit Fokus China – seit längerer Zeit einen fixen Platz in unseren breit diversifizierten Portfolios.
考虑到这一点,我们祝你有一个愉快的夏天,并保持投资。